Franz von Retz: Von wundersamen Begebenheiten
Defensorium inviolatae virginitatis beatae Mariae
Hinreisende Miniaturen aus Köln
Das reizende Büchlein entstand am Anfang des 16. Jahrhunderts in Deutschland; es wird heute in der National Library in Dublin aufbewahrt. Es handelt sich bei dieser Handschrift wohl um eine der spätesten Ausgaben des Textes.
Der Künstler liebt Genrebilder und die Auseinandersetzung mit antiken Figuren, denen er aber Kleidung und Auftreten seiner Zeit verleiht. Dieser wohl aus Köln stammende Maler ist stark von der Schule eines Stefan Lochner geprägt.

Ein Theologe mit Wundern und Mythen
Jede auf der Recto-Seite bildlich dargebotene Begebenheit wird auf der Verso-Seite in kurzen lateinischen und deutschen Reimen erläutert. Der im 16. Jahrhundert sehr beliebte Text des Wieners Franz von Retz (1343–1427) basiert auf Texten von Albertus Magnus, Augustin und Isidor von Sevilla. Franz von Retz schuf hier eine ganz besondere Form spätmittelalterlicher Typologie und Emblematik, die so bildhaft war, dass sie nur in Malerei umgesetzt verständlich gemacht werden konnte. Franz von Retz war ein bedeutender Theologe, er lehrte an der Universität Wien und reformierte den Dominikanerorden.
Das Unvorstellbare vorstellbar machen
Die ebenso schlichte wie logische Schlussfolgerung des Verfassers lautete: Wenn alle hier ausgebreiteten kuriosen Geschichten und wundersamen Begebenheiten wahr seien, dann müsse doch auch die unbefleckte Empfängnis zweifellos als glaubwürdig anzuerkennen sein.
Diese Zusammenstellung teils märchenhafter, teils absonderlicher Geschichten bietet ein einzigartiges Bild zeitgenössischer Mentalität und Glaubensinhalte: Vögel, die auf Bäumen wachsen, Wasser, das eine Jungfrau im Sieb tragen kann, aber auch bekanntere Mythen wie der Phönix, der aus der Asche steigt, Circe, die Menschen in Tiere verwandeln kann, oder der Löwe, der seine Jungen durch Brüllen zum Leben erweckt.
Die Beweisführung in Bild und Text folgt einer eigenen Logik: Wenn die Götter schon in der heidnischen Antike Wunder bewirkt haben sollen, um wie viel glaubwürdiger sind dann die Wunder der christlichen Welt.
Den Künstler zeichnen eindrucksvolle Innenräume und landschaftsbetonte Stimmungsbilder in erfrischender Farbigkeit ebenso aus wie die Liebe zum Detail, die dem Betrachter ruhiges und geduldiges Schauen abverlangen. Es ist verblüffend, wie gut es ihm gelingt, Unvorstellbares anschaulich zu machen.
Die wundersamen Begebenheiten des
Franz von Retz
Dieses zierliche Büchlein ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich: Auf 37 Miniaturseiten wird ein zauberhafter Reigen spätmittelalterlicher Phantasie- und Glaubensvorstellungen dargeboten, eine unglaubliche Welt von Wunder und Mythen versammelt.
Die wundersamen Begebenheiten aus der Natur, der Geschichte, der Mythen- und Sagenwelt sowie aus dem Alten Testament wurden einzig zu dem Zweck zusammengestellt, die jungfräuliche Mutterschaft Mariens zu beweisen.